Das Schiff


Die hohen Wellen trugen das leichte Schiff mit Freude. Immer, wenn ich mich in der Badewanne bewegte, stürzte eine neue Welle auf es zu, und es schaukelte wild. Wir hatten es im Winter gebastelt, nachdem wir aus seinem Inneren die Frucht herausgenommen hatten, sodaß nur noch die leeren Walnußschalenhälften zurückblieben. Papa hatten wir gebeten, die Nüsse so zu knacken, daß wir aus den Nußhälften Boote bauen konnten und auch das Fruchtfleisch nicht so zerbröselte. Das war unser ganzer Ehrgeiz. Papa erfüllte uns den Wunsch mit Eleganz. Anschließend wurden Streichhölzer ungefährlich gemacht und als Bootsmast mit Uhu hineingeklebt. Vorher aber noch kam das Segel daran, ein kleines Dreieck aus Papier. Nachdem wir aber festgestellt hatten, daß der Mast nicht gut hielt, machten wir daraus zwei Ruder und eine Ruderbank, die wir in die Schale hineinklebten. Brüderchen legte dann das Gebastelte an die Seite bis zum nächsten Bad am Samstag.

Die Abendsonne fiel durch das Badezimmerfenster, aufgehalten durch einen leichten Grünschimmer im Glas. Es hatte die gleiche Farbe wie das Wasser, welches lauwarm in der Wanne auf mich wartete. Halbvoll war sie, weil ich ja so viel tobte und spielte. Unter meinem nackten Po dann zerstoben die kleinen auf dem Grund der Wanne befindlichen Wasserblasen. Vielleicht hatten sie sich dort gefangen, weil die Wanne ein wenig rauh war. Jetzt brachte ich das Walnußboot auf die Wasseroberfläche. Ganz sanft trug sie es. Schon wurde ich munter und erprobte die Wetterfestigkeit meines nun hochseetüchtigen Kreuzers. Er war immer obenauf. Nicht unterzukriegen. Da nutzte die ganze Mühe und Phantasie nichts. Wenn es jedoch wirklich unter die Wasseroberfläche abtauchen würde, dann wäre es zerstört. Eigentlich langweilig. Wie war das denn mit meiner kleinen gelben Ente? Sie war Seeungeheuer, welches aus der Tiefe ganz plötzlich auftauchen konnte, Rettungsboot für den Waschlappen und auch mal was ganz anderes, zum Beispiel eine verzauberte, entführte Prinzessin ohne Aussicht auf festes Land, aber mit der Fähigkeit, unendlich weit schwimmen zu können. Dieses Boot allerdings war immer nur Boot, weil es nur obenauf schwimmen durfte und durch sein Material, welches die Natur schon so vielfältig und phantasievoll gebildet hatte, festgelegt war. Außerdem - das interessanteste in der Badewanne war sowieso nur ich. Meine Knie waren die Insel, um die jedes Boot und Ungeheuer herumsteuern mußte, mein Oberkörper war ein Riff, das es zu umrunden galt und der Sog unter meinen Beinen her konnte nur der mutigste Seemann überstehen. Selbst mein Bein, hoch in die Luft gestreckt, der Waschlappen als Segel zwischen meinen Zehen, konnte Mast eines großen Bootes sein. Auf dem Bauch in der Wanne liegend war ich ein großer Felsen oder ein großes Ungeheuer, das in Wirklichkeit lebte und alles auf dem Wasser verschlucken konnte.

Das gesammte Spielzeug in der Wanne war in meiner Macht. Das bewiesen die riesigen Wellen, die es fast bis hinaus aus der Wanne transportierten. Da half es auch nicht, etwas von der Wasseroberfläche abzutrinken, denn erstens schmeckte das nicht besonders gut und zweitens hätte ich sehr viel trinken müssen, um Überschwemmungen zu vermeiden. Daß ich allerdings meinen Eltern gehorchen mußte, merkte ich dann, wenn sie kamen und meine Finger schon ganz aufgeweicht vom Spielen waren, wenn meine Lippen leicht bläulich wurden und ich fror. Dann wurde der Stöpsel gezogen und mit einem gurgelnden Geräusch verschwand das große, süß schmeckende Meer. Zwar konnte ich den kleinen Wasserstrudel noch beobachten, der auch das letzte bischen Wasser aufsog, aber dann wurde ich aus der Wanne geholt, mit einem Frotteehandtuch abgerubbelt, erst in einen Schlafanzug und dann in einen Frotteebademantel gesteckt. Ich blickte mich um und sah das klitschenasse Bad. Das Abendbrot wartete. Meine Boote? Auf Ente und Waschlappen war verlaß, sie würden mich in vielleicht anderer Gestalt das nächste mal erwarten. Aber die Walnußhälften? Die kamen zum Schluß doch einfach nur - weg.


Zurück zu Gedichte und Geschichten        Zurück zur Startseite